TV-Kritik zum Tatort „Im Schmerz geboren“

Montag, 13 Oktober 2014 10:33

TV-Kritik zum Tatort „Im Schmerz geboren“

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Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird

Hallo Teletubbies. Gestern gab es hübsch was auf die Augen: den Hessen-Tatort. Warum ich jetzt wirklich gerne meinen Beitrag an die GEZ überweise, lesen Sie hier weiter.

Der Böse, der Gute und der Zuschauer (nicht im Bild)

Geht doch, liebe ARD, möchte man rufen, schreien, jubilieren. Geht doch, einen Tatort zu veranstalten, der einen für 90 Minuten gefangen hält. Der einen am Kuschelsonntagabend wieder den Glauben an das Gute, Schöne, Blutige gibt. Einen Tatort von alttestamentarischer Wucht. Eine herzrasenmachende Mixtur aus Sergio Leone, Quentin Tarantino, William Shakespeare und – Achtung, Achtung – Francois Truffaut. We call it Meisterwork.

Für alle, die die besten 90 Fernsehminuten der Öffentlich-Rechtlichen im Jahre 2014 verpasst haben sollten, hier kurz die Story: Richard Harloff (Ulrich Matthes) ist der böse Ex-Drogenbaron und Polizeischulfreund von LKA-Mann Murot (Ulrich Tukur), er kommt nach 30 Jahren zurück nach Deutschland und schon fliesst Blut. Natürlich haben sie eine gemeinsame Vergangenheit: eine Menage a trois á la „Jules und Jim“ mit der längst verstorbenen Mariel. Harloff fühlte sich damals von Murot verraten, (auf der Polizeischule fehlte ein Pfund Grass), dampfte mit der gemeinsamen Liebe gen Südamerika und wurde zum Bösling. Seitdem gärt die Rache in ihm, die ihn auf einen Feldzug gegen Murot ziehen lässt. Dazu angereichert mit jeder Menge Vater-Sohn-Konflikt. Fertig ist die klassische Tragödie.

Die Muhahaha was haben wir gelacht-Szene des Films (ja, es war ein Film, keine TV-Sendung): Harloff und Murot plaudern stundenlang über die letzten 30 Jahre im Park vor Harloff’s Hotel. Um sie herum eine Division SEK-Männer. Stundenlang die Knarren im Anschlag. Damit die armen Kerle nicht verdursten, spendiert der Böse zwischendurch eine Runde Limo inklusive bunten Strohhalmen.

Gut, die Story kennt man, kommt einem zumindest bekannt vor. Gibt’s so oder so in zig Varianten. Aber nicht in einer solch atemberaubenden Inszenierung: Präzise. Durchgedreht. Irrsinnig. Schmerzhaft. Und kre-a-tiv. Oh, Gott, das schlimme K-Wort. Aber so war es. Oder nenn es Liebe zum außergewöhnlichen Bild. Mut für Neues. Freude an ungewöhnlicher Umsetzung.

Dabei niemals und nichts um seiner selbst willen. Immer für die Story, für den Fortlauf des Geschehens. Keine Wichserei. Sondern: ganz große TV-Kunst. Denn da sind die ganz normalen Tatort-Szenen (Büro, Kaffee, Besprechung, Polizei-Alltag) und auf der anderen Seite: High Noon am Dorfbahnhof, Bluträusche als Ölbilder, Nabucco Gefangenen-Chor zu wilden Schießerei, Shakespeare galore, Gruppenbild mit allen Toten und und und. Anspielungen, Zitate, Bezüge, Querverweise, Theater, bildende Kunst, Kino, Oper – Pop-Kultur trifft Hoch-Kultur. Und zwar voll auf die Zwölf.

Bei dem Weg: Ich habe nie verstanden, warum sich Menschen Sonntag für Sonntag gemeinsam im Loungesofa zusammenrotten, um langweiliges Krimifernsehen zu zelebrieren. Wohl nur, um kräftig abzulästern. We call it: Kult. Hilfe.

„Im Schmerz geboren“ gibt mir Hoffnung. Dass mit meinem Gebührengeld doch vielleicht das ein oder andere Mal was Vernünftiges gemacht wird. Dass ich sagen kann: hab ich mitproduziert. Mit meinen GEZ-Beiträgen. Und jetzt verdammtnochmal: mehr von dem Zeug. Und zwar in allen Sparten. Nicht nur beim Krimi. Gebt mir Qualität. Macht mich Staunen. Lasst meine Augen strahlen. Regt mein Hirn an. Und stoppt endlich eure Volksverdummung.

Wer Sonntagabend was anderes zu tun hatte, schaut sich den besten Tatort aller Zeiten hier an und an und an http://www.ardmediathek.de/tv/Tatort/Sendung?documentId=602916&bcastId=602916

(Foto: HR/Philip Sichler)

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