Wo bleibt eigentlich der button i dont like it?

02 Mai 2012
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Der Krieg der brüllenden Arschköpfe

Den Turmbau zu Babel kann man auch als pubertären Versuch der jungen Menschheit sehen, von ihrem Vater mehr Nähe und Liebe zu bekommen und sich obendrein von völliger Vormundschaft zu befreien („Schau, ich kann meine Autoreifen alleine wechseln.“). 49cb38d89a5e4bc99b401442389cd874Väter sehen so was entgegen allen Werd-erwachsen-Predigten nicht gerne. Schlussendlich hat die Babel-WG nicht funktioniert, weil der Vater sauer wurde und veranlasst hat, dass sich die Bewohner nicht mehr verständigen konnten. Sie sprachen zwar aufeinander ein, bald sogar ziemlich laut, aber sie sprachen nicht miteinander. Und statt zu überlegen: „Moment, was ist denn jetzt kaputt?“, machten sie sich gegenseitig kaputt.

So ist der Mensch. Denn er verschwindet zu gerne in seinem eigenen Hintern, um diesen bald als Welt zu betrachten, da bleibt für das Verständnis gegenüber anderen keine Zeit mehr. Außerdem ist es da hinten ziemlich dunkel.

Auf das Problem der Kommunikation hat der Gegenwartssoziologe und -philosoph Jürgen Habermas ziemlich verständlich hingewiesen. Vor allem auf das Problem, dass nicht alle gleichwertig kommunizieren dürfen. Der große Gorilla, Herr Silberrücken, verheiratet mit Frau Silberfuchsrücken, der darf alles zu jedem sagen, in jeder Lautstärke. Ein kleiner Gorilla, etwa der Qualichita, darf zu höher stehenden Affen wenig sagen und das Wenige in dem devoten Tonfall des Stiefelleckers, sonst wird er hinausgeworfen und muss von gammligen Hartz-Bananen leben, die ihn zuckerkrank, adipös, einsam und vollends blöd werden lassen. Dafür brüllt dieser Affe mit Gleichgesinnten gerne unartikuliert in den von Affenforschern/-jägern erbauten Kneipen herum, um seine Aggressionen herauszulassen.

Sicherlich, sie bleiben unter sich und in ihren eigenen Hintern. Damit wird eine Unterschicht geschaffen. Wenn man nun nach Habermas verfahren würde, sähe das ganz anders aus. Nämlich so: Die Mitglieder einer Gesellschaft diskutieren gleichberechtigt über ein Gesetz/Projekt, und jeder muss dieselben Folgen/Pflichten tragen, und jeder muss zustimmen. Keiner dürfte seinen Kopf in seinen oder in einen anderen Hintern stecken. Utopie, klar. Sogar Habermas sagte, dass dies ein Gesellschaftsbild sei, wie es aussehen sollte.

Mir fällt immer öfter auf, dass vor allem Küchen-Esoteriker, die immer Liebe, Klarheit, Respekt und Toleranz und all so was fordern, die denken, in ihrem Kopf wabere eine endgültige, einfache Erklärung für die Welt herum, dass diese Leute ihren Kopf nicht oben tragen. In sich selbst gefangen blicken sie auf eine Phantasiewelt, in der Ponys Regenbögen essen und Schmetterlinge furzen, und lehnen dabei alles Reale um sich herum ab. Esoteriker und alle scheinheiligen, fanatischen Gläubigen reagieren recht schnell recht erbost auf eine ihnen fremde Gedankenwelt. „Was?! Du willst diesen Baum nicht umarmen?! Dann schneiden wir dir die Füße ab und stecken dich in einen Blumentopf!“

Das bringt mich zu André Heller und zur Frage: „Was würde André Heller ohne André Heller und André Hellers Hintern machen?“ Eine wichtige Frage. André Heller ist nämlich die Welt, das ist offensichtlich, wenn man ihm länger als fünf Minuten zuhört. Dabei tut er scheinheilig so, als ob er nun geläutert und ein bescheidener Mensch wäre, der seinen Sohn vergöttert, sich selbst vernachlässigt und alles Unglück in seinem Leben mit Demut hinnimmt, weil er nun alles verstanden hat. In Wirklichkeit ist er ein selbstverliebter, alter Musiker, der gern Buddha wäre, das ist offensichtlich, wenn er in der Talkshow von Markus Lanz sagt, dass er, der Lanz, ihn, den Heller, doch mal alleine einladen soll. Als einzigen Gast. Dann könne man reden. Und schließlich habe Lanz das mit Karl Lagerfeld auch gemacht.

Doch auch der „kleine Esoteriker von der Straße“ denkt, er habe die Antwort auf alles: Liebe. Und die anderen, die nicht so denken, sind eben böse, können aber mit dieser Liebe bekehrt werden. Das ist religiöser Faschismus. Und noch dazu falsch, denn die genannte Liebe ist eine Eigenliebe, und damit kann man niemanden „heilen“, damit wird man bloß zur Narzisse an einem See. Kapitalisten, vor allem Neoliberale, hängen dem gleichen Glauben an. Außer Brüderle. Der meint offenbar, es lasse sich alles mit der Liebe zum Wein heilen.

Niemand bemerkt diesen Faschismus. Freilich nicht. Wir sind ja (zurzeit) damit beschäftigt, die Salafisten zu verteufeln. Wegen ihrem Gott, den es ja eigentlich gar nicht gibt, das wissen wir, weil es entweder keinen oder unseren Gott gibt, der viel toller und humaner ist/wäre als diese islamistische Phantasie und vielleicht, wenn es hoch kommt, ein paar Plagen schickt/schicken würde. Ansonsten liebe er uns. Allerdings verhalten sich alle derart panisch, als ob die Verteilung des Korans und die Salafisten an sich eine plötzliche Plage von eben diesem Gott wären, den es gar nicht gibt. Warum räumen dann unzählige Menschen die Koran-Büchertische leer? Ist das so wie mit dem Alkohol, den man vernichten muss, weil er ein Übel ist? Übrigens bestraft in Bayern der Staat eine Gotteslästerung.

Egal, zurück zu den Salafisten, diesen bösen Glaubenseiferern, die sich so brutal aufführen. Ich war selber noch nie dabei, aber viele Leute erzählen davon. Wie bei Gaddafi. Wenn ich die Bilder im Fernsehen sehe, wie Salafisten angeblich irgendwo ausflippen und ihren Glauben herumbrüllen, gleichen sie für mich Kapitalisten an der Börse, die herumbrüllen, um noch fünf Prozent mehr oder was weiß ich herauszuholen.

Herrgott! Schon wieder die Kapitalisten! Und Gott!

Mit den Kapitalisten beschäftigt sich doch kein normaler Mensch. Nein, wir sind damit beschäftigt, zum zehnten Mal gegen Joseph Kony ein „Like“ zu klicken. Die Kampagne „Kony 2012“ und alle super-engagierten beziehungsweise -hysterischen Kommentare (auf Facebook oder dergleichen) haben mich schon von Anfang an vor die Frage gestellt: Was ist das? Wer ist das? Wer will was genau von mir? Und mich macht es nervös, dass diese amerikanische (!) Kampagne Kony in einer Reihe mit Hitler und Bin Laden (!) abbildet. Sicher, wenn man seine Feindbilder – vielleicht sogar aus Versehen – umbringen lässt, dann braucht man neue. Nicht dass mich jemand falsch versteht: Wenn es stimmt, was berichtet wird, gehört Kony eingesperrt. Für immer. Oder zu lebenslanger Zwangsarbeit in Heimen für Kriegsopfer verurteilt. Genau wie alle Waffenhändler. Oder die Leute, die wegen Öl Krieg führen. Aber dieser ganze Wirbel ist irgendwie dubios. Genau wie der Krieg gegen Gaddafi, von dem wir schon lange nichts Neues mehr gehört haben. Na ja, das Land und das Öl gehören ja jetzt anderen.

Während diese Zeilen geschrieben werden, erholt sich übrigens das Gesicht von „Kony 2012“, Jason Russell, von seinem Nervenzusammenbruch. Er lief in Unterhosen auf die Straße und bedrohte die Welt. Nein, er ist nicht gejagt worden. Er ist angeblich emotional gestresst. Ben Keesey, der Vorsitzende von Invisible Children, erklärt auf der Organisationshomepage, dass Russell aufgrund von Flüssigkeitsmangel, Erschöpfung und Mangelernährung zusammengeklappt sei und nun geheilt werde. Wahrscheinlich mit viel Liebe.

Am 16. März vermeldete www.tmz.com, dass Russell „nackt“ auf der Straße herumgeschrien habe. Es gibt sogar ein Video dazu, das einen nackten Mann zeigt, der mit seinen Händen den Gehsteig verprügelt (http://bit.ly/JAIo8t). „Kony 2012“ wird unterdessen in den deutschen Medien nicht (mehr) unvoreingenommen bejubelt. Zum Beispiel äußerte man auch im NDR (24. April, „Weltbilder“) Kritik an der Kampagne. Weil sie zu werbemäßig sei. Mei, es ist halt eine Kampagne. Außerdem beschäftigt sich die NDR-Reportage lieber mit dem jungen Jacob, der von Invisible Children gerettet worden sei, und mit einem alten Mann, dem Konys Soldaten angeblich die Hand abhackten und der Kony den Tod wünscht. Das ist nun aber keine Werbung oder Aufruf zum Hass?

Dass es Konys Kindersoldaten und Kony 2012 überhaupt geben kann, dass wir Angst vor Männern mit Bart und Turban haben, dass die ”BILD” gedruckt und gekauft wird, dass die Verursacher der Finanzkrise immer noch ihre Geschäftchen machen etc., ja das ist alles eine Folge des globalen Kommunikationsproblems. Wir hängen alle auf diesem selbstgebauten Turm zu Babel herum, die Köpfe in unseren Hintern oder in den Hintern anderer, brüllen irgendwas und wundern uns, dass uns niemand versteht und hernach alles „voll im Arsch“ ist.

Im untersten Stockwerk stehen ein paar klare, vernünftige Geister, die sich jedoch nur per Post oder auf Zuruf melden, weil sie logischerweise unter uns so verrückt werden würden wie wir. Oder wie Russell.

Wenigstens werden inzwischen nicht mehr alle Intellektuellen wie Habermas als Linke oder Kommunisten beschimpft. Obendrein werden nicht mehr alle (linken) Intellektuellen eingesperrt oder erschossen. Man mag dies als ein Blinzeln in die richtige Richtung deuten. Und wenn wir uns mehr mit solchen Habermas-Gedanken beschäftigen, könnte es doch noch etwas werden mit diesem traurigen Haufen Menschheit, von dem ein kleiner Teil seit Jahrhunderten erfolgreich die Gesellschaft, die Freiheit, die Liebe, die Gerechtigkeit und den Planeten vergewaltigt und der nur noch mit verbaler oder physischer Gewalt zu stoppen ist.

André Heller werden indes die philosophischen Betrachtungen von Habermas nicht helfen. Das liegt an seinem ehemaligen Drogenkonsum. Ein Schlafmittel sei das gewesen, sagte er am 24. April bei Lanz. Und zwar ein solches, das bei Überdosierung aufputschend wirke, jedoch den Darm lähme und somit verschließe. Und aus einem verschlossenen Hintern kann man nicht mehr herauskriechen. Das sollten wir uns alle vor Augen halten, kurz vor dem Entree.

Andrea Limmer

Freie Journalistin

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